Samstag, 30. Juli 2011
Möchtegern-Männer und die Farbe Pink III
Als Brad Newman am nächsten Morgen von den sanften Strahlen der goldenen Morgensonne geweckt wurde, drehte er sich impulsiv auf seine linke Seite und schaute in die Augen dieser einen Frau, die er so unendlich liebte. „Guten Morgen!“, flüsterte sie zärtlich an seinem Ohr, „Ich liebe dich!“.
„Ich liebe dich auch!“ und damit zog er sie nah an sich heran und ihre Lippen verschmolzen in einem leidenschaftlichen Kuss.
Als ob.
Brad Newman wusste ganz genau, dass so etwas in der Realität nicht existierte.
Solche Szenen waren eher das, was ihm schon als Teenager regelmäßig einen Brachreiz bereitet hatte, während seine sentimentale Mutter sich neben ihm auf dem Sofa die Augen ausheulte, nur wegen diesen schnulzigen, ekligen Rosamunde-Pilcher Sülzstreifen, in denen man ohnehin ab der ersten Minute des Filmes garantiert sagen kann, wer mit wem am Ende glücklich bis ans Ende seiner Tage zusammen lebt. Kotz!
Aber das hier war das wahre Leben und Liebe war ohnehin nichts weiter als eine Erfindung der Werbeindustrie. So wie der Weihnachtsmann.
So erzählten die nicht nur kleinen Kindern, sondern auch Erwachsenen, besonders verzweifelten Frauen wie seiner Mutter, Märchen, um ihren Profit zu steigern. Doch ohne ihn!
Und weil, das hier nun mal das wahre Leben war, wurde Brad selbstverständlich nicht von den sanften, warmen Sonnenstrahlen geweckt, sondern eher von etwas, das sich anhörte wie eine schwerstübergewichtige Sau, die auf der Schlachtbank noch einen letzten verzweifelten Abschiedsgrunzer von sich gab und als er sich langsam zur Seite drehte, durchzuckte nicht nur ein stechender Kopfschmerz – ein Abschiedsgeschenk der vielen Wodka Martinis von gestern Abend- die paar Gehirnzellen, die er noch von der Party hatte retten können, sondern was er sah, erweckte in ihm das Gefühl, als müsse er nun an Augenkrebs sterben.
Es hatte entfernte Ähnlichkeit mit einer Frau, könnte aber der Hautfarbe nach zu urteilen auch ein Toastbrot sein, ein schlecht blondiertes Toastbrot mit aufgespritzten Schlauchbootlippen und zwei halben Fußbällen an den Stellen, an denen sich für gewöhnlich weibliche Brüste befinden.
Wie in Trance lag Brad nun noch eine ganze Weile regungslos da und bewunderte mit einer Mischung aus Faszination und Abscheu dieses Wunderwerk der plastischen Chirurgie, das da neben ihm lag und die absolut beeindruckende Geräuschkulisse, die diese Frau zu erzeugen im Stande war und die selbst seinen Großvater väterlicherseits, der durch sein durchdringendes Schnarchen mehr als eine Frau in die Irrenanstalt getrieben hatte, vor Neid erblassen lassen würde.

Doch als bei dem Anblick der Toastbrothaut in Kombination mit den gelben Haaren, der Gedanke an Toast mit viel Butter und damit seine katerbedingte Übelkeit übermächtig wurden, löste er seinen Blick, sprang auf und kotzte, da er ohnehin niemals sein Badezimmer rechtzeitig erreichen würde, kurzerhand aus dem Schlafzimmerfenster.
Er hatte die Geranien von Frau Meyer aus dem Appartement unter ihm sowieso nie gemocht,
scheiß Altfrauen-Unkraut. Mit ein bisschen Glück waren die jetzt hinüber.
„Bradi-Mausi, alles okaaaay?“
Autsch, dieser fiese Sirenenton, mit denen die in Guantanamo Häftlinge foltern, konnte auch nicht mehr in den Ohren wehtun, als diese Stimme.
Außerdem hatte Toastbrot ihn beim Kotzen gesehen, was fast noch mehr schmerzte. Körperliche Schmerzen waren die eine Sache, aber ein Kratzer im männlichen Ego verheilte nur sehr langsam.
Also beschloss Brad seinen letzten Rest Ehre zu retten, fuhr sich einmal durch seine Haare und drehte sich mit einer- wie er fand- ungeheuerlich eleganten Bewegung zu Toastbrot um.
„Die letzte Nacht war ja ganz nett, Baby.“, unwiderstehliches Augenbrauenzucken, „Aber möchtest du jetzt nicht vielleicht Zigaretten holen gehen und nie mehr zurückkommen?“
Der Blick aber, der Brad nun entgegen kam war so verständnislos, dass er nicht umhinkonnte zu spekulieren, dass die letzte Nacht ziemlich geil gewesen sein musste, wenn in dem Spruch
„Dumm fickt gut!“ auch nur ein Fünkchen Wahrheit drinsteckte. Schade, dass er sich nicht daran erinnern konnte…
Also auf die harte Tour.
„Schätzchen, da ich vermute, dass dein von Botox zerfressenes Hirn, das ansonsten nicht so ganz zusammenkriegt, versuch ich’s jetzt so einfach zu formulieren, wie ich kann: Raus hier- und zwar sofort!“
„Du willst, dass ich gehe?“
Was für eine Blitzmerkerin! „Wow, du hast mich verstanden, ich bin beeindruckt!“
„Wirklich?“
Ja, Gehirnblutgrätsche hoch zehn, definitiv.
„Nein, das ist Ironie und nein, ich kann dir jetzt nicht erklären, was das ist, ich hab nen verdammten Kater und außerdem nicht den ganzen Tag Zeit! Also verschwinde aus meiner Wohnung!“
Und als sie den knallharten, männlichen Blick in seinen Augen sah, der diese Worte begleitete, raffte sie ohne ein weiteres Wort ihre Kleidungsstücke zusammen und machte sich auf schnellstem Wege davon. Zumindest war Brad selbst sehr überzeugt, dass es an seinem männlichen Blick gelegen haben musste.

Seufzend brühte Brad sich erst einmal einen Chai-Latte mit einem kräftigen Schuss Himbeersirup, das It-Getränk der Saison, auf (den er dann -den „Schwuchtel-Faktor“ erkennend- wieder in den Abfluss kippte und durch einen doppelten extrastarken Espresso ersetzte) und ließ sich auf sein hippes weißes Kunstledersofa fallen.
Der Espresso war widerlich bitter.
Wo war Anni, wenn man sie brauchte?
Wo war sein verdammtes Chai-Alibi? Mit einer Frau an seiner Seite durfte man ungestraft jedes Pussy-Getränk trinken. Also, wenn man die Frau nicht gerade von seiner Männlichkeit beeindrucken wollte. Aber, mein Gott, wir redeten hier von Anni.
Kurzerhand beschloss Brad sie anzurufen und einzuladen.
Er brauchte ohnehin noch jemanden, dem er von seinem genialen, gleichsam eleganten und super-sexy Auftritt von gestern vorschwärmen konnte.
„Tut, tut.“
Kurzer Blick auf die Uhr. 8.45. Naja, womöglich ein bisschen früh, aber was soll’s.
„Tut, tut.“
Was brauchte Anni denn so lange? Selbst wenn sie im Bett lag, es könnte doch wichtig sein.
„Tut, tut.“
Langsam wurde es lächerlich.
„Hallo“
Na endlich. „Hey Anni, hast du meinen Bombenauftritt gestern gesehen? Ich wollte nur…..“
„ich bin leider gerade nicht zu erreichen. Sprecht doch auf das Band, wenn ihr Lust habt.“
Anrufbeantworter. Mist.
Wer sagte erst mal „Hallo“ und machte dann ne Pause? Was für ne verdammte Verarsche!
Und wo verdammt nochmal war Anni um diese Uhrzeit?
…Und wenn sie gar nicht zu Hause geschlafen hatte?
Ach, iwo, wo sollte Anni schon gewesen sein?
Das Mädel war doch nicht umsonst schon seit Jahren Single.
Der Mann, der für sie und ihre Ansprüche gut genug war, musste erst noch erschaffen werden.
Also was war…

*Piep*
Oh, das war sein Handy.
Terminerinnerung.
Wie benommen schaute er auf das Handydisplay.
Meeting in Raum 117.
Wer zur Hölle plante samstags um 9.30 Uhr ein Meeting?
Mittlerweile war es 9.10 Uhr.
„Scheiße, Scheiße, verf***te Scheiße, verdammt!“

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