Dienstag, 2. August 2011
Möchtegern-Männer und die Farbe Pink IV
Um kurz nach halb durchschritt er also die große gläserne Eingangstür der Organisation und durchquerte die modern eingerichtete Eingangshalle.
„Hey Brad, zum Meeting? Bist ziemlich spät dran!“
„Das Beste kommt zum Schluss, Tony, weißte doch!“
„Morgen Brad, Mann, siehst du scheiße aus! Harte Nacht gehabt?“
„Heute schon mal in den Spiegel geguckt? Und, ja, ‚hart‘ kann man wohl sagen.“
Manchmal hasste er sich selbst ein bisschen dafür, dass er so ein großkotziges Arschloch war.
Und wenn der arme, mit Übergewicht und Stirnglatze gesegnete, Peter, der mit Sicherheit seit dem Ende der „Freien Liebe Bewegung“ keine Frau mehr im Bett hatte, sich jetzt mit seinem Billigrasierer die Pulsadern aufschnitt?
Keine Zeit weiter darüber nachzudenken, denn schon stand er vor der Tür des Konferenzraums.
Zehn Minuten Verspätung, das geht doch noch.
Da es nicht im Geringsten sein Stil war einen Fehler zuzugeben oder sich gar zu entschuldigen,
betrat Brad den Raum mit einem „Wie nett, dass Sie schon alle auf mich warten.“ und ließ sich mit einem „Haben Sie vielleicht auch schon Kaffee gemacht?“ auf seinem Stuhl nieder.
„Wo haben Sie denn Anni gelassen?“
Ha, die Stimme seines Vorgesetzten klang nicht im Geringsten nach Anschiss.
Coolness siegte eben doch. Manche mochten es als Dreistigkeit verurteilen, aber…
„Herr Newman, ich habe Ihnen eine Frage gestellt? Wo ist Anni?“
Erst jetzt bemerkte Brad, dass der Stuhl zu seiner Linken leer war.
Erst war Anni nicht zu Hause und dann nicht beim Meeting?
Was war los mit Miss Pflichtbewusst? Das war sonst so gar nicht ihre Art!

„Nun ja, da wir ohnehin schon mit der Zeit im Verzug sind, müssen wir wohl ohne sie beginnen.“
Ein leises Raunen ging durch die Reihen der Agenten. Wow, Brad war noch nie aufgefallen, wie beliebt Anni hier war. Wobei, eigentlich kein Wunder als einzige Frau. Scheiß Tittenbonus.
Und die Vollpfosten hier sollten den Ball ohnehin mal flachhalten.
Keiner von denen spielte auch nur annähernd in Annis Liga…
denn, naja, als SEINE Assistentin hatte sie natürlich ein nicht zu verachtendes Prestige inne.
„Herr Newman, wie ist ihr Abend verlaufen? Haben sie das gesuchte Objekt?“
„Also, ich muss schon sagen…“, setzte Brad an und senkte den Kopf.
„Also ganz ehrlich gesagt…“, fügte er kleinlaut flüsternd hinzu.
Das Schweigen um hin herum wurde nun von immer mehr nervösen Luftschnappern unterbrochen.
„Ich weiß nicht so genau, wie ich es sagen soll…“
„Du hast es versaut, Brad?“, hörte er seinen Chef in seiner besten „Ich tu jetzt mal ganz psychologisch sinnvoll so, als würde ich dir nachher nicht den Hals umdrehen, sondern dich ganz liebevoll väterlich in den Arm nehmen und wie ein kleines Baby an meiner Brust flennen lassen“-Stimme sagen. „Ich wusste, der kann nichts!“, fügte der dumme Lothar verächtlich hinzu.
„Die Mission war ein voller, voller, voller Erfolg!“
Brad schrie nun fast und hatte sein strahlendstes Siegerlächeln aufgesetzt.
Vom Rausch des Erfolges beschwipst, sprang er aus seinem Stuhl und fuhr fort.
„Es war nicht einfach, aber ein Mann wie ich liebt und braucht die Herausforderung.
Ich möchte nicht übertreiben, aber in aller Bescheidenheit muss ich doch sagen, dass ich die Situation mit unglaublichem Geschick gemeistert habe. Damit sollte für alle Zweifler ein für alle mal klar sein:
Brad Newman ist der Größte und er hat noch eine glänzende Zukunft vor sich. Denn…“
„Brad genug davon! Geben Sie mir jetzt lieber das Fundstück.“
„Et voilà!“. Als Brad seinem Vorgesetzten das Büchlein reichte, kam ihm ein Gedanke.
Hatte Anni es nicht aus dem Schlafzimmer geholt und mitgenommen?
Aber warum hatte er es dann heute Morgen in seiner Wohnung auf dem Fußboden gefunden?
Und langsam, Stück für Stück, erinnerte er sich an eine merkwürdige Begegnung in seiner Wohnung gestern Nacht. Scheiße. Was, wenn Anni wegen ihm nicht zur Arbeit erschienen war?
Natürlich wäre das kindisch und unprofessionell, aber andererseits hatte sie ihn beim Sex erwischt… und noch dazu mit Toastbrot! Damit begann die Situation auch ihm peinlich zu werden…

„Wenn Sie mich dann nicht mehr unbedingt brauchen, Gentlemen, ich habe noch einige äußerst wichtige Termine heute und möchte mich ungern verspäten.“, murmelte er mehr oder weniger bewusst und verließ den Konferenzraum.
Zurück blieben etwa 15 verwirrte Anzugträger, die sich fragten, warum dieser Mann eigentlich überhaupt noch hier arbeitete, geschweige denn mehr verdiente als zumindest ein Drittel von ihnen.
„Naja, er ist nun mal…irgendwie…gut.“, sagte der, am Kopfende sitzende, älteste und höchstgestellte unter ihnen. „So und jetzt weiter im Programm. Joe, wie läuft’s mit dem Jonson-Fall?“

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